Bild von Alina Maria Schütte


ALINA MARIA SCHÜTTE


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AUSSTELLUNG „PAPIER”/ STÄDTISCHE GALERIE LEHRTE/ 2003






Vorwort zur Ausstellung „Papier“ Städtische Galerie Lehrte


Der berühmte, für manche verständlicher Weise auch berüchtigte deutsche Existenzphilosoph Martin Heidegger,
der die Existenz von uns, die Existenz des Menschen, vor allem auch auf höchst sinnvolle und sinnliche Weise
aus der Sprache hat erklären wollen, hat im Zusammenhang mit uns Menschen ein Wort geprägt,
das fast jeder mit diesem Martin Heidegger verbindet.
Er hat gesprochen vom ”Geworfen-sein des Menschen" in diese Welt. Er wollte damit eine höhere Macht
nicht leugnen, aber ausschließen, sie zu bezeichnen als Gott oder was immer.
Wir sind einfach da und wieder weg, geworfen, nicht nur im Sinne der Geburt bei Tieren, wo man von Wurf spricht,
sondern auch im Sinne des Zufalls, der sich (was ja auch eine Ableitung von Werfen ist) vom Würfel bestimmt.
Wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind – und nun nicht sagen,
dies sei eine (sicher ist es so) – schamlose Verkürzung der Heideggerschen Philosophie, dann haben Sie schon
einen wesentlichen Aspekt für das Verständnis der Arbeit, der neuen Arbeiten von Alina M. Schütte.

Die Künstlerin hat sich hierfür eine Technik angeeignet, die sie sich selbst erst erfinden mußte.
Kurz gesagt zerkleinert sie große Platten von fabrikneuem Zellstoff,
also einem Material aus dem auch Papier gemacht wird. Sie verbindet dies in großen Bottichen mit Kalzium-
Karbonat, mit Marmormehl und vor allem mit reinen, sehr leuchtenden Farbpigmenten.
In jedem Bottich ein anderes. Es entsteht in langen und schweren Arbeitsprozessen eine Masse, nicht zu feucht,
nicht zu trocken. Alina Schütte legt nun den großen, manchmal schon farbig grundierten Bildträger auf den Boden
ihres Ateliers (Nähe) und geht um diese Leinwand herum, um aus verschiedenen Richtungen mit großer Kraft
ihres rechten Armes solche farbigen Zellstoff-Fladen auf diese Leinwand zu werfen.
Natürlich, wie Sie sehen, wird das kein Chaos, denn sie bemüht sich in der Wahl der Farben,
dem Ziel der Wurfbewegung, eine künstlerische Ordnung zu erreichen.
Aber Sie erkennen jetzt, warum ich Ihnen am Anfang die Schöpfergeschichte (wobei das für ihn ein völlig
unpassender, weil göttlich besetzter Ausdruck gewesen wäre) des Martin Heidegger erzählt habe:
Das Geworfen-sein dieser Kunst ist für Alina Schütte der wichtige künstlerische Impetus,
der Sie zu diesen so starken, nicht nur stark farbigen, sondern auch in ihrer Wirkung auf uns starken Bilder
geführt hat. Was dann noch hinzu kommt, ist manchmal die durch Besehen der noch nicht getrockneten Massen auf
den Bildern besonders an den Rändern erwirkter Mischung und Verumklärung einzelner Farbwege.
Und oft das Überdecken eines Bildteiles mit einer profanen weißen Papierfläche, die aber diesen Bilder
eine ganz starke Ordnungskomponente gibt und unserem Auge eine Zone der Ruhe vor dem Sturm der Farben.
Und hinzu tritt, wie auch in allen ihren früheren Bildern, der Buchstabe A für den Anfangsbuchstaben ihres
Vornamens und eine liegend ovale Augenform, die ebenso wie ihr Vorname, für den sinnlichen Bezug
ihrer Kunst steht.

Alina Schütte hat mir erzählt, daß sie am liebsten eines ihrer Bilder erst hier in der Städtischen Galerie
gemacht, soll ich sagen gemalt? – nein geworfen hätte und dabei alles peripher um das Bild herum an der Wand
stehen gebliebene mit gezeigt hätte, um diesen Prozess des Werfens der Farbe sichtbar zu machen.
Um das in einen Vergleich mit kunstgeschichtlichen Haltungen zu stellen, erinnere ich Sie an einen der größten
Wegbereiter der ungegenständlichen Kunst, den Amerikaner Jackson Pollock, der weg wollte von der Abstraktion
des Gegenständlichen und sich tanzend, mit Autolack-Dosen die mit Löchern versehen waren,
um seine auf dem Boden liegenden Bilder herum bewegte. (Schnelligkeit und Rhythmus)
Oder einfach an einen anderen Großen des letzten Jahrhunderts, den auch vom existenzial-philosophisch geprägten
Francis Bacon, einem gegenständlichen Maler, der, wenn er mit seiner figürlichen Malerei nicht mehr weiter kam,
weil ihm alles zu ausgeklügelt wurde, aus weiter Entfernung Farbbrei auf die Leinwand warf,
um damit Freiheit zu schaffen, Störfälle fürs Spontane, das in der Kunst so wichtig ist.
Noch ein Beispiel: Niki de Saint Phalle, die in den frühen Jahren Präservative mit verschiedenen Farben
an ihre Objekte hängte.

Alles was Sie sonst noch sehen, die kleinen Bilder mit den weißen Fladen von Zellstoff inmitten,
und den verspielten schwarzen und roten Zutaten, oder die farbigen Streifen, die da von den Bildern oder
aus dem halb geöffneten Kasten quellen – das sind vorherige oder zur Entspannung gemachte Etüden.

Alina Schütte zeigt mit dieser Art Malerei eine Tendenz die als wichtiges Merkmal aller Kunst unserer Zeit
gelten darf: Eine bis zum Äußersten getriebene Individualisierung. Doch vor einer haltlosen Subjektivität
bewahrt sie ihr künstlerisches Gefühl für den Rhythmus.
Das rhythmische Pulsieren hat die schönen Konturen verdrängt, der kontinuierliche Fluß einer Farbchromatik
ist durch manche harten Schläge von Licht und Dunkel zerrissen. Die Seele drängt ins Bild,
als ob sie mit ihren Energien schrankenlos frei wäre, nur gebunden durch die geheimnisvolle Sicht von Alina
Schütte dicht unter der Schwelle des Bewußtseins.
Durch Spannung, Schwung und Verzauberung absolut persönlich verschmolzen,
erreicht die Künstlerin im Geworfenen das Menschliche – ein Privileg jeder authentischen Kunst.

Die Künstlerin geht mit ihrer Malerei aufs Letzte, aber es bleibt immer Malerei, reine Materie,
erschreckender Überfluß der Farbpasten. Das Werfen der Farben macht ihr Vergnügen, das jedoch nie größer ist,
als ihr stark ausgeprägter Sinn für malerische Beziehungen und Verhältnisse.
Es ist eine Malerei der physischen Leidenschaft, sinnenhaft.
Vor ihr kann niemand gleichgültig bleiben.

(von Ludwig Zerull)



Technik
Zellstoff, Farbpigmente, Acryl, Papier auf Leinwand



  230 x 115 cm   



  120 x 140 cm                                               140 x 160 cm                                               120 x 140 cm



  100 x 100 cm                                                       220 x 160 cm



  140 x 160 cm                                                120 x 140 cm








  120 x 100 cm                                                                  100 x 120 cm



  100 x 100 cm                                                      80 x 60 cm



  80 x 60 cm



  80 x 60 cm                                                                             80 x 80 cm




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